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16.–18. Juni 2022
Münster
Europe/Berlin Zeitzone

(De-)Kategorisierung – eine epistemische und inklusionstheoretische Dystopie?

18.06.2022, 09:18
18m
BSH 41

BSH 41

2b| Beitrag im Arbeitskreis AK 4.3

Sprecher

Prof. Martin Giese

Beschreibung

Dass Normabweichungen, die sich in kategorialen Zuschreibungen artikulieren, zu illegitimen sozialen Ausschlüssen führen können, steht außer Frage. Im Kontext von Behinderung bezeichnet der Begriff Ableism – analog zu Sexism, Racism oder Classism – den diskriminierenden Ausschluss bestimmter Personengruppen aufgrund einer realen oder zugeschriebenen Leistungsfähigkeit (Hoffmann, 2018). Die kategoriale Feststellung einer Normabweichung von Körper- und Gesundheitszuständen, wie sie z. B. in §2, Abs. 1 des Bundesteilhabegesetz formuliert sind, stellen per se allerdings keinen diskriminierenden Ausschluss dar. Ableism kommt erst zum Tragen, wenn diese Normen einseitig überhöhte Fähigkeitsregime konstituieren, die Unterdrückung, Abwertung und Marginalisierung bestimmter Personen zur Folge haben (Giese, 2019).
Insofern ist zwischen der Kategorie und ihrem exkludierenden Potential zu unterscheiden. Beide sind jedoch aus einer epistemologischen Perspektive gleichwohl als soziale Realität zu verstehen (Haslanger, 2021, 18). Ihr reziprokes und ambivalentes Verhältnis kann mit Foucault als Dispositiv gelesen werden – es pendelt zwischen machtförmiger Normalisierung und dezentrierter Subjektivierung (Brinkmann, 2018). Diese machttheoretischen Verstrickungen lassen sich nicht auflösen, indem kolportiert wird, dass sich Kategorien abschaffen ließen. Die Dekategorisierung beraubt uns vielmehr der Sprache, um diese Prozesse machtkritisch zu analysieren und im Sport(-unterricht) pädagogisch zu begleiten.
Jenseits epistemologischer Überlegungen hat die Dekategorisierung aus einer inklusionstheoretischen Perspektive aber auch ganz praktische, negative Konsequenzen. Ahrbeck und Fickler-Stang (2015) zeigen für den sonderpädagogischen Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, dass der Verzicht auf eine kategoriale Terminologie bei Hyperaktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörungen zu einem Verlust an diagnostischer Trennschärfe führt und dass die Pädagogik somit „hilflos vor den ihr gestellten Aufgaben steht, ohne eigenes Handwerkszeug und ohne die Möglichkeit, sich im interdisziplinären Dialog Hilfe zu holen“ (Ahrbeck und Fickler-Stang, 2015, S. 261).

Literatur
Ahrbeck, B. & Fickler-Stang, U. (2015). Ein inklusives Missverständnis. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 43 (4), 255-263.
Brinkmann, M. (2018). Verkörperungen zwischen Normalisierung und Subjektivierung. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 87 (3), 191-204.
Giese, M. (2019). Konstruktionen des (Im-)Perfekten. Skizze einer inklusiven Fachdidaktik im Spiegel der Disability Studies.Hamburg: Czwalina.
Haslanger, S. (2021). Der Wirklichkeit widerstehen. Soziale Konstruktion und Sozialkritik. Berlin: Suhrkamp.
Hoffmann, T. (2018). Leistungsfähigkeit und Leistungsgerechtigkeit aus behinderten- und inklusionspädagogischer Perspektive. In T. Sansour, O. Musenberg & J. Riegert (Hrsg.), Bildung und Leistung (S. 70-80). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Hauptautor

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